Mittwoch, 18. Februar 2009

6. Der lange Winter

Ich streife durch die Straßen meiner Stadt, und ich sehe Grau. Hellgrau, Dunkelgrau, ganz, ganz helles Eisgrau (fast schon Weiß), Mittelgrau, Dunkelgrau, frostiges Glitzergrau, wolkiges Grau, Betongrau (wird z. Zt. für über 4,5 Mio. Euronen geräuschvoll saniert), Metallgrau, Waschbetongrau, ganz dunkles Mülltonnengrau, schmutziges Moppedgrau, Mausgrau, graue Klamotten, grauer Staub, grauer Schnee, grau, grau und nochmals grau!

Der Balkon ist grau, die Häuser sind grau, meine Haare sowieso, selbst die braun gestrichenen Fachwerkbalken der Altstadt sehen im Halbdunkel des morgendlichen Wegs zur Arbeit unter Kunstlicht grau aus.

Grau, grau und grau!

Es kotz mich an!
ICH KANN ES NICHT MEHR SEHEN!

Ich fange schon an, in meiner Wohnung herumzulaufen, um hier Gegenstände zu fotografieren.

Der Bleistiftspitzer! Das könnte ein schönes Bild werden. Oder der schicke Kugelschreiber.

Das Notebook, das alte Balgengerät, der Kartoffelstampfer oder das Gyroskop.... alles tolle Bilder. Aber draußen bleibt es grau in grau.
Ich mag mein graues Käsegesicht nicht mehr im Spiegel ansehen müssen. Und die ganzen Viren und Bakterien sollen doch gefälligst bleiben, wo der Pfeffer wächst! Ich will wieder umschwirrt werden von roten Marienkäfern, von signalgelben Wespen und goldfarbenen Schwebfliegen. Ich will wieder Frühling riechen. Jetzt! Ich weiß, dass es eigentlich zu früh ist für Frühlingsgefühle. Es ist Februar, was soll man da schon anderes erwarten. In meiner Kindheit habe ich Winter erlebt, in denen es im Februar immer noch einmal richtig kalt und verschneit wurde. Damals gab es ja auch noch keine Klimaveränderung. Oder es wusste wenigstens noch keiner. Aber für dieses Jahr ist es einfach genug. Wenn schon Klimaerwärmung, dann will ich auch etwas davon haben.

Mir fällt erst jetzt auf, dass diese Gegenstände auf meinen Winterbildern alle eines gemeinsam haben: die Farbe Grau. Nicht auch das noch! In meiner Verzweifelten Suche nach Farbe werde ich auf dem Wochenmarkt fündig. Die kesse junge Marktfrau mit dem kleinen Piercing an der Oberlippe verkauft mir säckeweise Zitrusfrüchte, Kiwis und Granatäpfel. Damit inszeniere ich in meiner Küche Stilleben. Schreibt man das nach neuer Rechtschreibung eigentlich mit drei "L"?

Damals in Zwickau waren die Winter noch heftig. Bei Ausflügen ins Erzgebirge konnte man da schon einmal Ende Februar in Schneeverwehungen liegenbleiben. In meinem ersten Jahr in Zwickau wurde an meiner dortigen Schule noch gebaut. Im Winter habe ich mich dann öfter in Freistunden zu den Bauarbeitern in den Hof gestellt, um meiner Nikotinsucht zu fröhnen. Bei dieser Gelegenheit habe ich mich einmal über den vielen Schnee im Zwickauer Winter gewundert. Einer der Arbeiter versicherte mir darauf glaubhaft, dass vor der Wende immer viel mehr Schnee gefallen sei. Im Ernst!
In einem Jahr hatte ich dort Anfang Mai noch ein Schneegestöber und dann Ende des Monats die erste Hitzewelle. Benutze ich heute noch als Beispiel, um meinen Schülern Kontinentalität von Klima zu veranschaulichen: Da dauerte der Frühling glatt zwei Wochen. 

Beim Herstellen der inszenierten Fruchtsaftbilder habe ich dann doch noch für ein paar Stunden Farbigkeit vor Augen. Und gesund soll es ja auch sein, das viele Obst. Aber frische, heimische Erdbeeren wären mir dann doch lieber.