Mittwoch, 17. August 2016

16. Der Aftershow-Blues

Ich streife durch die unendlich scheinenden Weiten meiner Festplatte, und stoße dabei auf die Digitalversion des Fotobuchs, das ich für den Regisseur des diesjährigen Sommerstücks der Neustadter Schauspielgruppe gebastelt habe. Es wurde ihm am Abend der Dernièrefeier von mir überreicht, und alle hatten unterschrieben: Die phantastischen Schauspieler, die großartigen Techniker, die überaus zuverlässige Souffleuse, die nette Kassenfrau und sogar der tolle Dame vom Toilettenwagen. Man macht sich ja keine Vorstellung davon, wie wichtig (und schwierig) es ist, dass bei so einer Veranstaltung die Toiletten immer tiptop sauber sind.

Da einige der Beteiligten montags in ihren Brot-und-Butter-Berufen arbeiten müssen, hatten wir die Dernièrefeier von Sonntag auf Samstag vorgezogen. Es war also eine Mogelpackung: Wir feiern die Dernière, noch bevor diese stattgefunden hatte. Aber im Grunde war das eine weise Entscheidung. Bei der Dernièrefeier wird einem immer bewusst, dass die Party endgültig vorbei ist. Das Feriensommerlager ist zu Ende. Man nimmt Abschied und wird rührselig. Mit dieser Regelung lief das etwas eleganter: Da kommt ja noch eine Vorstellung. Die ganzen, über Monate ausgedachten und ausgeknobelten Dernièrescherze stehen uns noch bevor, darauf kann man sich noch freuen. Und dann gibt es ja auch noch das kleine Feuerwerk am Ende der letzten Vorstellung. Also kein Grund, sich bei dieser Feier zu grämen. Es waren, soweit ich das beurteilen kann, alle Anwesenden fröhlich und ausgelassen.

„Ausgelassen und fröhlich“ sind dann auch genau die Begriffe, mit denen ich die ganze Proben- und Spielzeit charakterisieren würde. Dabei hatte die Saison ganz komisch begonnen. Kurzfristige Absage eines Regisseurs, Suche nach einem anderen, neuen Stück („Die Nashörner“ von Eugène Ionesco) Terminfindungs- und Rollenbesetzungsprobleme und schließlich das dauerhaft schlechte Wetter während der Proben. Wir sind eine Freilichtbühne. Wenn es wie aus Kübeln gießt, dann probt es sich so schlecht. Trotz oder vielleicht genau wegen dieser Schwierigkeiten entstand so ein unglaublich guter Zusammenhalt im Ensemble. Jeder brachte sich ein mit Ideen oder handwerklichen Fähigkeiten. Der Regisseur bemalte höchstpersönlich die Möbel, ein Darsteller zeichnete Entwürfe für die Kostüme, alle bastelten zusammen die Nashornoutfits und ich schrieb meine erste Auftragsarbeit: ein Essay über Nashörner, das dann in gekürzter Form tatsächlich im Programmheft abgedruckt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht einmal, was ein Essay überhaupt ist.


Niemand drückte sich vor unangenehmen Arbeiten. Und wenn doch, wurde er/sie bei nächster Gelegenheit scherzhaft darauf hingewiesen und strengte sich von da ab doppelt an: „Sooo…. Und alle die, die letzte Woche nach dem Wegräumen der Scheinwerfer noch trocken waren, kümmern sich jetzt bitte um der Aufbau und die Nummerierung der Stühle!“. Die Nashornherde trampelte jedes Wochenende gemeinsam durch den Park, und das über Monate. Darüber hinaus haben wir viel private Zeit miteinander verbracht: wir waren in diesem halben Jahr sicher eine tragende Säule der einheimischen Gastronomie. Und auch die Nachbarn der Villa Böhm werden unsere nächtlichen Gespräche vermissen, die wir, auf der Bühne liegend und den Himmel, die Sterne und die ISS beobachtend, geführt haben. Mehrfach kamen so einige Nashörner in den Genuss, der Sonne beim Aufgehen über dem Park zuzusehen. Völlig selbstverständlich fanden sich hier Leute unterschiedlichsten Alters zu einer Gruppe zusammen, die sich nach ein paar Monaten fast so anfühlte wie eine Familie. Eine Vertrautheit bildet sich, ohne die so manches Detail der Inszenierung gefährlich oder überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Einer der Schauspieler bezeichnete dieses Gefühl als ein „inneres Puddingkochen“. Treffender kann man es wohl nicht ausdrücken.

Dann kam er aber doch, der letzte Tag, die Dernière. Alle legten sich noch einmal besonders ins Zeug. Kleine aber feine Scherze wurden in die Texte und Handlungen eingebaut, gerade so, dass das Publikum es nicht merkt. Einzelne Wörter wurden ausgetauscht und plötzlich standen zwei zusätzliche Nashörner auf der Bühne. Nur die anderen Spieler und die Techniker bekamen das überhaupt mit und immer wieder musste sich jemand auf die Knöchel beißen, um nicht laut loszulachen. Dann noch Applaus, Feuerwerk, noch einmal Applaus und das war’s.

Die Scheinwerfer wurden weggeräumt, die Requisiten verstaut, die letzten Abschiedsgeschenke ausgetauscht und dann passierte es doch noch, was eigentlich vermieden werden sollte: Tränen kullerten und selbst die Hartgesottenen hatten plötzlich einen dicken Kloß im Hals. So richtig umgehen kann damit keiner. Wie immer versprachen wir uns baldiges Wiedersehen - manchmal klappt das sogar. Meistens aber nicht so bald.

Zeit, dass die Vorbereitungen zum Winterstück losgehen.

P.S.: Hiermit bedanke ich mich bei Klaus, bei dem ich schon vor Jahren den Begriff "Aftershow-Blues" gelesen habe. Danke Klaus. Das trifft es so gut, dass ich kein anderes Wort dafür verwenden möchte.