Freitag, 17. Oktober 2008

3. Das Haus von Peter

Ich streife durch meine Stadt und plötzlich finde ich mich vor Peters Haus wieder. Peter und ich waren jahrelang Nachbarn. Eigentlich waren wir keine echten Nachbarn, denn ich habe zwar in dem Haus neben Peters Haus gewohnt, aber Peter hat selber nicht in seinem Haus gewohnt. Peter wohnt nicht in seinem Haus, er baut daran. Ich bin seinerzeit, also Ende 2003, neben dem Haus von Peter eingezogen, da hat er schon an seinem Haus gebaut. Jetzt ist es schon bald Ende 2008 und Peter baut immer noch an seinem Haus. Das hat natürlich Gründe, und zwar gute!

Peters Haus ist ziemlich alt. Peters Haus ist sage und schreibe das älteste Fachwerkhaus weit und breit, und mit "weit und breit" meine ich selbstverständlich die Pfalz und noch ein Bisschen weiter. Von wann es ist, kann ich nicht so genau sagen, obwohl ich es mir von Peter schon mehr als einmal habe erklären lassen. Es ist einfach zu kompliziert, als dass ich es mir merken könnte. Ich glaube, dass die Außenwände im hinteren Teil des Hauses die ältesten Teile sind. Dann wurde nach oben ein Stück erweitert, dann nach vorne zur Straße, dann wurden Fachwerkwände durch Steinwände ersetzt, Treppen an- und wieder abgebaut und offene Flure mit Fenstern ausgestattet. Und das alles seit dem 14. Jahrhundert: immer hier ein Stück und dann da ein Stück. Und irgendwo stecken auch noch Mauerreste der vorherigen Bebauung drin, die natürlich noch viel älter sind. Man könnte sagen: "Peters Haus ist im Durchschnitt 532 Jahre alt.", aber das trifft die Wahrheit auch wieder nicht genau genug. Wenn ich das nächste Mal zu Peter gehe, dann nehme ich Schreibzeug mit, und schreibe es alles akribisch auf.

Weil Peters Haus so alt ist, und weil Peter es gerne, wo immer es möglich ist, historisch präzise sanieren möchte, dauert der Bau auch schon sehr lange. Da werden nicht einfach Stahlträger eingezogen und Trockenbauwände davorgesetzt. Peter hat nämlich einen Antiquitätenladen und restauriert Möbel - Stühle, Schränke und so. Und genau so sorgfältig, wie er seine Schränke restauriert, saniert er auch sein Haus. Denn immerhin ist es das älteste Fachwerkhaus weit und breit, und wir leben hier ja nicht in Amerika, wo eine 100 Jahre alte Blockhütte schon als historisches Kleinod gilt.

Also was bedeutet das nun?
Nehmen wir Mauerwerk. Bruchsteinmauern mit einfachem Mörtel. Peter sagt: "Die Leute damals sind ja nicht einfach in den Baumarkt gefahren und haben Säckeweise Zement gekauft. Mörtel war teuer und die Leute waren arm." Das leuchtet ein! Peter hat sich noch erhaltene Mauerteile aus dieser Zeit angesehen und studiert. Dadurch ist er drauf gekommen, wie es damals gemacht wurde: Die Leute haben Stein auf Stein gesetzt, mit Mörtel dazwischen, und dann haben sie kleine Bruchsteine in die Fugen geschoben, um möglichst viel von dem noch feuchten Mörtel wieder herauszuquetschen. Der ausgequetschte Mörtel wurde dann wieder verwertet, und so kann man mit einem Sack Zement eine Riesenmauer hinstellen. Irre! Wäre ich nie drauf gekommen. Peter ist drauf gekommen und hat gemauerte Wände in seinem Haus genau so gebaut. So, und auf keinen Fall anders!

Anderes Beispiel, dieselbe Baustelle: Fachwerk
Peter hatte eine Firma bestellt, die sich auf das Erstellen von Fachwerkwänden versteht. Eine Fachfirma sozusagen. Die Jungs rückten dann auch mit schwerem Gerät an: Berge von Weidenzweigen für das Geflecht, tonnenweise Lehm und gehächseltes Stroh für die Ausfachungen. Dazu ein Zementmischer, um Stroh und Lehm zu vermengen. Ein Riesenspektakel in der Metzgergasse: Stadtführer machten mit Touristengruppen Umwege, nur um das zu zeigen und um den Bauarbeitern ein Wenig im Weg herum zu stehen - ganz großes Kino!

Peter hatte sich zwischenzeitlich ziemlich schlau gemacht. Man könnte sagen: er verschling seit Jahren alles, was es an Fachliteratur zum Thema Fachwerkbauten in der Pfalz gibt. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie jemanden kennen gelernt, der sich derart in ein Thema verbeißt, sich derart verbissen schlau macht. Kurz und gut - oder auch "nicht gut", wie die Frau von der Denkmalschutzstiftung sagen würde - die Firma hatte nicht das gemacht, was man zur Zeit des historischen Hausbaus gemacht hätte: Die Firma baute die senkrechten Streben des Fachwerks aus Dachlatten. Historisch korrekt wären aber gespaltene Eichenknüppel gewesen. Also versucht Peter zu retten, was noch zu retten ist, und baut den Rest des Fachwerkgeflechts aus im Hof gespaltenen Eichenknüppeln selber. So, und auf keinen Fall anders!

Die Frau von der Denkmalschutzstiftung treibt das in den Wahnsinn. "Das wird ja nie fertig!" sagt sie. "Ich will endlich sehen, dass wenigstens die Außenwände verputzt und gestrichen werden, sonst streiche ich die Zuschüsse!" droht sie. Aber Peter sammelt erst einmal in aller Ruhe in der Umgebung Sandsteinproben und lässt die in einer Pigmentmühle mahlen. Er tüftelt mit den Naturpigmenten so lange herum, bis er den Farbton der am historischen Verputz sicher gestellten Malereireste einigermaßen nachempfunden hat. So, und auf keinen Fall anders! Dass die Maler es dann doch nicht genau so hinbekommen, wie er es sich vorstellt, lässt ihn schier verzweifeln. Wenn die Frau von der Stiftung nicht vorher so sauer gewesen wäre, hätte Peter vermutlich den ganzen Verputz heruntergeschlagen, neu verputzt und dann selber gestrichen.

Peter benutzt selbstverständlich keine Standardfenster aus der Fabrik mit auf die Scheibe geklebten Holzkreuzen. Er geht auch nicht einfach zum Tischler und bestellt Fenster, die der Tischler ausmisst, entwirft und baut. Das hat sich der geneigte Leser an dieser Stelle sicher schon denken können. Peter recherchiert für jede einzelne Bauphase seines Hauses den damals üblichen Fenstertyp in wissenschaftlicher Literatur. Er fertigt sorgfältig Zeichnungen an, und lässt dann die Fenster vom Tischler einzeln bauen. Jedes Fenster an seinem Haus ist ein Unikat, das nur in diese Fensteröffnung und nur in diese Bauphase hineinpasst. Sogar das Glas und das Material der Einfassungen der Scheiben stimmen bis auf den letzten Bleitropfen und bis auf den letzten Holznagel. Nur so, und auf keinen Fall anders! Und wenn's einmal nicht so genau hinhaut, verkauft Peter das betreffende Fenster wieder und lässt sich ein Besseres bauen.

Ich finde diese Sorgfalt großartig! In Neustadt wurden in den 70er Jahren denkmalschützerische Verbrechen begangen, für die ich die Täter am liebsten heute noch historisch korrekt auf dem Marktplatz von vier großen Kaltblüterpferden bei lebendigem Leib vierteilen lassen möchte. Über diese Verbrechen wird man sich noch in 100 Jahren grämen. Über die Sanierung von Peters Haus wird man in Neustadt noch in 100 Jahren gerne sprechen. Sie macht nicht nur rein optisch eine Menge her, man hat dabei auch sicher Vieles über mittelalterliche Handwerkstechniken neu gelernt. Mit dieser Sanierung setzt Peter sich ein Denkmal. Am liebsten würde ich ihn dafür einmal in den Arm nehmen, und ihm sagen, wie lieb ich ihn dafür habe. Wenn möglich in Anwesenheit der Frau von der Denkmalschutzstiftung. Ob die das wohl verstehen würde?


Die Außenmauern und die Fenster von Peters Haus sind übrigens fertig. Sieht wirklich ganz, ganz toll aus.

6 Kommentare:

  1. hi adolf, mal wieder klasse erzählt...ist das die hintergasse oder die mittelgasse.
    in der mittelgasse hab ich mal als junger mensch gewohnt !

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  2. Hallo Horst und danke für Deinen Kommentar. Weder noch: Es ist die Metzgergasse.

    Gruß

    Adolf

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  3. hätte echt gedacht es wäre die hintergasse....
    kommst du aus der metzgergasse.
    bin ja auch ein alter neustadter
    wohnte in der spitalbachstraße in der schönung
    wenn du diese fabrik noch kennst.

    mein vater arbeitete dort

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  4. Ich hab' mal für vier Jahre Kunigundenstraße/Ecke Metzgergasse gewohnt. Aber ich bin selber kein gebürtiger Neustadter. Deshalb sagt mr "Spitalbachstraße" auch nichts. Kann ich einfach nicht zuordnen, aber google maps wird mir helfen ;-)

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  5. Kunigundenstraße/Ecke Metzgergasse war mein geburtshaus...das heisst meine eltern wohnten da, als ich zur welt kam. und meine oma wohnt heute noch in der spitalbachstrasse....:)

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  6. Aber leider wird nicht wirklich was am Haus gemacht und die Bausubstanz leidet schon darunter. Es ist sehr schade,dass das Haus nicht genutzt wird.

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