Gleich verschwinden die Plakate im Wertstoffsack. |
So viel Arbeit steckt da drin - man macht sich ja als Außenstehender keine Vorstellung davon! Das geht nur mit einem riesigen Ensemble auf und hinter der Bühne. Allein an diesen Plakaten haben zwei Personen gewerkelt: Den Scherenschnitt von Cyrano habe ich aus einem extra dafür aufgenommenen Profilfoto mit Fotoshop erzeugt. Nicht wirklich schwierig, aber wenn man, wie ich, so gar keine Ahnung von Photoshop hat, sitzt man dennoch eine ganze Weile daran und wühlt sich durch gefühlt eine Million Menüpunkte. Eine Grafikerin hat dann damit die Plakate gebaut. Für die Nase des Cyrano wurde eigens eine professionelle Maskenbildnerin mit ins Boot geholt. Weil sie ihre ersten Gehversuche im Zusammenhang mit ihrem Beruf im Keller der Villa Böhm - also im amtlichen Hauptquartier der Neustadter Schauspielgruppe - gemacht hat, hat sie ihr professionelles Know-How selbstverständlich ehrenamtlich und kostenlos eingebracht. Wie alle hier. So standen zum Beispiel in diesem Jahr allein drei ausgebildete Theaterpädagogen auf und hinter der Bühne und betreuten Teilbereiche der Regie. Dazu viele alte Theaterhasen mit Jahrzehnten an Bühnenerfahrung. Der Tontechniker war vor seinem beruflichen Ruhestand Profi auf diesem Gebiet, und das merkt man auch. Die Kulissen bauen, zumindest teilweise, gelernte Handwerker und angemalt werden sie nicht von irgendwem, sondern von einer bekannten Künstlerin aus der Region. Selbst die blutjungen Nachwuchsschauspieler hatten teilweise schon mehrere Jahre Erfahrung auf dem Buckel.
Wir sind Amateure, keine Laien!
das sympathische Sommerensemble 2018 (teilweise) |
Um mich vom Verlust meiner Sommerfamilie abzulenken mache ich Insektenbilder. Als studierter Biologe und Geograph sind eigentlich die Landschafts- und Architekturfotografie meine Domänen. Und die Makrofotografie. Klassische Bienchen- und Blümchenbilder mit dem Ziel, die bestimmungswichtigen Merkmale festzuhalten. Die Gestaltung ist dabei erst einmal nicht so wichtig. Dennoch entwickeln solche Bilder trotzdem eine gewisse Ästhetik, einfach weil die Geschlechtsorgane der höheren Pflanzen und die Kerbtiere so schön sind. Außerdem sind die Outtakes manchmal bezaubernd: Man sieht zwar keine bestimmungswichtigen Details, aber plötzlich schaut einem ein Schmetterling oder eine Gottesanbeterin direkt in die Augen. Atemberaubend! Damit habe ich mich schon viel zu lange nicht mehr beschäftigt. Alla dann: Ferienthema 2018 ist die dokumentarische Makrofotografie. Im Park der Villa Böhm gibt es ein geradezu hinreißend verwildertes Blumenbeet. Dort beobachte ich schon seit Wochen die Schmetterlinge und Wildbienen und hier beginne ich meine Exkursion in die Welt der Kleintiere. Doch die Qualität der entstehenden Bilder hält sich in überschaubaren Grenzen. Habe ganz schön viel verlernt, in den letzten Jahren.
Etwas frustriert steige ich auf’s Mopped. Der Weg führt mich zunächst auf einen bereits beschrieben Umweg. Die ganze Strecke darf nur mit maximal 30 km/h, stellenweise auch weniger, befahren werden. Und so tuckere ich gemütlich und untertourig das Sträßchen hinauf. Ich schwelge in Erinnerungen. Zum Beispiel an das hübsche Ausflugslokal in dem lauschigen Tal, wo ich mir erst vor Kurzem den Bauch vollgeschlagen habe. Während ich so träumend das Sträßchen entlangrolle streift mein Blick einen großen Doldenblütler, an dem sich auffällig viele Schmetterlinge tummeln. „Augenblick mal. Das ist doch genau das, was du suchst.“ muss ich mir selbst ins Gedächtnis rufen. Es dauert trotz der niedrigen Geschwindigkeit einige hundert Meter, bis ich eine geeignete Stelle zum Drehen finde. In der Nähe der Umbellifere biegt ein kleiner Forstweg ab. Dort kann ich den Boxer abstellen und mich mit der Kamera zu Fuß auf den Weg machen. Tatsächlich tummeln sich an den Blütenständen der Pflanze nicht nur die auffälligen orangefarbenen Kaisermäntel. Es finden sich dort auch Fliegen, mehrere Arten von Schwebfliegen und diverse Käfer ein. Insgesamt zähle ich fast ein Dutzend Arten, und das an nur einer einzigen Pflanze. Warum eine weitere Engelwurz, die nur zehn Meter weiter ihre Dolden präsentiert, völlig sexlos und unbestäubt bleibt ist mir ein Rätsel.
Der Kaisermantel schaut, aus der Nähe betrachtet, ganz schön dumm aus der Wäsche. |
Wieder auf dem Motorrad fahre ich das Sträßchen bis zu dem an seinem oberen Ende gelegenen Parkplatz. Von dort aus nehme ich eine lauschige Kreisstraße, die mich mit sanften Kurven über eine Strecke von fast zehn Kilometern quer durch den Wald nach Wachenheim bringt. Hier biege ich nach links ab Richtung Bad Dürkheim. Doch dann mache ich gleich wieder ein kleiner Abstecher: Anstatt die Stadt auf dem direkten Weg zu durchqueren biege ich ab und bin mit einem Mal auf dem Holzweg. Der heißt wirklich so! Zunächst geht es durch ein Wohngebiet, und plötzlich bin ich wieder mitten im Wald. Es gibt mitten in Bad Dürkheim einen bewaldeten Berg, der fast vollständig von der Kurstadt und ihren Vororten umgeben ist. Den lasse ich das Fahrzeug jetzt erklimmen. Oben angekommen stehe ich vor der Klosterruine Limburg. Da wird heute geheiratet. Ein Schild an der Klostertüre fordert die Hochzeitsgäste auf, hier auf die Abholung durch den Standesbeamten zu warten. Da ich aber mit der Hochzeit nichts zu schaffen habe, trete ich ein und finde mich in einer ziemlich großen Kirche ohne Dach wieder. Im Inneren wachsen Platanen und es finden sich kaum noch Hinweise auf das Spektakel, welches hier noch vor wenigen Tagen stattgefunden hat: Theater unter freiem Himmel. Das „Theater an der Weinstraße“ hat in der malerischen Ruine seinen Stammsitz. In diesem Jahr gab es mit dem „eingebildet Kranken“ von Molière einen echten Schenkelklopfer. Natürlich hat es sich das Sommerensemble der Neustadter Schauspielgruppe nicht nehmen lassen, am spielfreien Wochenende fast geschlossen dort aufzuschlagen, um sich über die klassischen Komödie zu amüsieren und um der befreundeten Theatergruppe unsere Aufwartung zu machen. Schließlich wurde das Theater an der Weinstraße vor über 40 Jahren von ehemaligen Mitgliedern der Neustadter Schauspielgruppe gegründet. So erzählt man es sich zumindest. Den Wahrheitsgehalt dieser Erzählung konnte ich bislang nicht überprüfen.
Bühnenabbau auf der Limburg |
Ein paar Tage nach unserem Besuch bin ich noch einmal auf der Limburg gewesen und zufällig in den Abbau der surrealen Kulissen geplatzt. Eine der Darstellerinnen hat mich angesprochen und sofort mit meinem Namen begrüßt. Vermutlich eine ehemalige Schülerin meiner Schule. Ich kann hier wirklich kaum noch irgendwo auftauchen, ohne dass mich jemand erkennt.
Ich genieße noch einmal den atemberaubenden Ausblick von der Limburg. Mit der Ruhe ist es vorbei in dem Augenblick, da die Hochzeitsgesellschaft eintrifft. Zeit aufzubrechen. Der Umweg über die Limburg hat den Vorteil, dass man von hier aus ohne viel Federlesen direkt auf die B37 kommt. Klingt wenig spektakulär, ist es aber. Die B37 führt von Bad Dürkheim aus direkt in den Pfälzer Wald. Bei strahlendem Sonnenschein spüre ich den Wind auf meiner Haut, sehe liebestollen Zitronenfalterpärchen beim Hochzeitstanz zu und weiche den Tänzern aus, damit sie nicht als gelber Belag auf meinem Helmvisier enden. Und wo Sie gerade sagen „Wind auf meiner Haut?“: Ja! Ich weiß! Ich sollte nicht ohne Schutzkleidung fahren. Damit bin ich kein gutes Vorbild und das sollte ich in meinem Beruf doch unbedingt sein. Und ich bezahle ja auch regelmäßig dafür, und zwar einen ziemlich happigen Preis. Nämlich immer dann, wenn sich ein stechendes Fluginsekt in mein T-Shirt verirrt. Aber manchmal kann ich nicht anders. Dann muss es einfach sein. Ich arbeite daran und gelobe Besserung. Bis zum nächsten Rückfall.
die Verkehrsinsel in Enkenbach-Alsenborn |
ein Widderchen |
Und so geht es jetzt immer weiter. Es vergeht keine Viertelstunde, bis ich erneut auf Spuren der Theaterwelt stoße, in die ich vor sieben Jahren eingetaucht bin: In Hambach komme ich am „Theater in der Kurve“ vorbei. Eine Art Zimmertheater, mit dem sich ein ehemaliges Mitglied der Neustadter Schauspielgruppe wohl einen Lebenstraum verwirklicht hat. Wie schön, dass es so etwas gibt! Auch eine ehemalige Schülerin von mir, inzwischen ausgebildete Schauspielerin, macht hier regelmäßig Theater mit ihrer freien Theatergruppe „Der Petunientopf“. Großartige Nachwuchsarbeit wird hier geleistet, um junge Menschen an die Schauspielerei heranzuführen und ihnen das dafür notwendige Handwerkszeug zu vermitteln. Auch die Neustadter Schauspielgruppe hat immer wieder davon profitiert, denn schon mehrfach haben wir den talentierten und gut ausgebildeten Nachwuchs aus dieser Schauspielerschmiede in unseren Produktionen einsetzen können. Besonders stolz dürfen wir wohl auf einen jungen Darsteller aus diesem Stall sein, der auf Anhieb die Aufnahme in eine renommierte Schauspielschule in den USA geschafft hat. Danke Petunientopf, danke Theater in der Kurve!
Irgendwo fallen mir noch die Reste eines Plakates des „Dramatischen Hoftheaters“ auf. Auch diese freie Theatergruppe wurde gegründet von theaterbegeisterten Menschen, die in den Produktionen der Neustadter Schauspielgruppe über Jahre eine prägende Rolle gespielt haben. Auch heute noch arbeiten sie mit den hervorragenden Licht- und Tontechnikern der Schauspielgruppe zusammen. Daraus ergibt sich der für beide Gruppen charmante Vorteil, dass es niemals zu Terminüberschneidungen und damit zu einer Konkurrenzsituation kommen kann.
Ich kann es drehen und wenden wie ich will: Wenn ich an einem Tag mit Aftershow-Blues einen Ausflug mache, dann dreht sich in meinem Kopf doch wieder alles nur um Theater. Ganz egal, was das Thema des Ausflugs ist.
P.S.: Der Blog trägt den Untertitel „kleine mürrische Geschichten“, nicht „kleine mürrische Protokolle“. Der Ausflug hat so nie stattgefunden, das Sommerensemble hat auch nicht an der Produktion auf der Limburg herumgenörgelt und überhaupt habe ich eine ganze Menge frei erfunden. Und die tanzenden Zitronenfalter waren in Wirklichkeit Kohlweißlinge. Aber auch die werden zu gelbem Matsch, wenn sie mit einem Motorrad oder seinem Fahrer kollidieren.
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