Mittwoch, 11. Juli 2018

24. Die Exkursion zu den Bienenfressern

Die Zwiebeln werden von einer Maschine eingesammelt.
Ich streife durch meine Gegend und laufe dabei über einen Feldweg. Es riecht nach den Zwiebeln, die ein Gemüsebauer wohl am Vortag aus dem fruchtbaren Auelehmboden gebuddelt hat und die er heute einsammelt. In meiner Hand halte ich die Kamera mit dem alten 300er Teleobjektiv. Die Lichtstärke ist mit f=4,0 nicht wirklich überwältigend, aber es ist die längste Brennweite mit Autofocus, die ich besitze. Damit will ich mich an das heutige Thema herantasten, und mich im Übrigen auf die aberwitzige Auflösung der Kamera verlassen. Im Notfall kann ich immer noch Ausschnittvergrößerungen machen, wenn die Brennweite nicht mehr hergibt.
An einer kleinen, halboffenen Hütte direkt am Weg halte ich an und setze mich auf eine kleine Bank in der Hütte, und zwar mit dem Gesicht zur Rückwand. Dann öffne ich eine schmale Klappe in dieser Rückwand und habe ich sie direkt vor mir: Die Gerolsheimer Gruben. Der teilweise noch in Nutzung befindliche Tagebau zur Sand- und Kiesgewinnung beherbergt immerhin die zweitgrößte Bienenfresserkolonie in Rheinland-Pfalz.

Augenblick mal! Habe ich hier nicht großflächig das Thema verfehlt? Ich habe doch erst gestern lang und breit hinausposaunt, dass das Sommerferienthema „Makrofotografie“ heißt. Sogar mit dem Zusatz „dokumentarisch“. Und jetzt laufe ich hier mit einer 300mm-Spannerkanone herum? Nun: Es geht u. A. um Insekten. Und ein guter Indikator für den Zustand einer Population von Lebewesen ist der Zustand der Prädatorenpopulation, die sich von diesen Lebewesen ernährt. Wir müssen über Insekten reden. Das wollte ich eigentlich schon in der letzten Folge dieses Blogs, habe mich aber dann doch irgendwie verquasselt. Den Gliederfüßern geht es in der letzten Zeit überhaupt nicht gut, das belegen verschiedene Studien. In der Wikipedia findet sich zu dem Thema eine ganz ordentliche Zusammenfassung. Der Rückgang der Insekten seit den 80er Jahren ist teilweise erschreckend. Wenn wir dem nicht Einhalt gebieten, werden die Folgen katastrophal sein. Nicht nur für die Landwirtschaft. Ich bilde mir wirklich ein, dass ich mir zu diesem Thema ein Urteil erlauben kann.

In den Steilwänden des Tagebaus
brütet der Bienenfresser. 
Der Anblick, der sich mir durch das schmale Fenster bietet ist atemberaubend. Ich sitze nur ein paar Meter von einer Steilwand im Auelehm entfernt. Hier bauen die Bienenfresser ihre Nester als Höhlen in den Lehm. Und vor der Steilwand liegt ein langsam zuwuchernder Grundwassertümpel. Hier tummeln sich alle möglichen Insekten und davon ernähren sich die Bienenfresser. Es herrscht Hochbetrieb. Die für mitteleuropäische Verhältnisse ungewöhnlich bunten Vögel fangen die Kerbtiere im Flug. Dann setzen sie sich auf einen Ast, um die Beute zu töten, eventuell vorhandene Giftstachel zu entfernen und sie so für die Küken oder für den eigenen Verzehr aufzubereiten. Schnell wird klar: Der Autofocus bringt mir hier keine Vorteile. Er stört vielmehr, weil er nach jeder Änderung des Bildausschnitts die Focusebene verändert. Das kostet Zeit, in der die Vögel oft schon wieder ihren Platz gewechselt haben. Außerdem sind 300mm bei derart kleinen Tieren nicht wirklich eine lange Brennweite. Ich brauche die große Linse. Die ganz große! Alla hop: Ab auf‘s Mopped und los. Dass ich bereit bin, einfach so 60 Kilometer zu verblasen, nur um ein anderes Objektiv zu holen, zeigt wohl, wie wichtig mir die Bilder sind. Ich bin ganz wuschig vor Aufregung. Ein solchen Suchtverhalten im Zusammenhang mit Fotografie hatte ich schon lange nicht mehr.

Tatsächlich ernähren sich Bienenfresser zu 80% von
Großlibellen.
Einen Rückgang der Insektenbiomasse seit den 80er Jahren um etwa 80% stellte ein Krefelder Entomologenverein fest. Untersuchungsstandort war, und das ist vielleicht besonders alarmierend, ein Naturschutzgebiet. Nun könnte man das abtun mit Bemerkungen wie: „Das sind doch nur Amateure!“ oder „Das ist doch keine wissenschaftliche Arbeit!“. Aber ich sage: Es ist wissenschaftliche Arbeit. Gerade bei großen statistischen Erhebungen in der Biologie werden oft Studenten (im wissenschaftlichen Sinn Amateure) angelernt und dann im Feld eingesetzt. Mit der Zeit kommt die Routine, und solche angelernten Helfer sind dann zuverlässig und günstig. Langzeitstudien nur mit Doktoren und Professoren durchzuführen wäre unbezahlbar. Außerdem sind eben diese Doktoren und Professoren oft Mitglieder in den entomologischen Vereinen und leiten die anderen Vereinsmitglieder wissenschaftlich an. Die verwendeten Methoden sind dokumentiert, hier wurde sauber und wissenschaftlich belastbar gearbeitet. Und das Ergebnis lässt nur geringen Interpretationsspielraum: Wenn schon in einem Naturschutzgebiet der Rückgang an Insektenbiomasse so erheblich ist, wie groß ist er dann erst auf landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen?

Da ist noch ein 400mm-Tele mit der vergleichsweise hohen Lichtstärke von f=3,5. Das hat zwar keinen Autofocus, aber sonst hätte ich mir diese Teletröte wohl auch kaum leisten können. Für moderne Objektive mit dieser Brennweite und Lichtstärke wird man heute deutlich vierstellig, wenn nicht sogar fünfstellig zur Kasse gebeten. Der Hersteller hat seinerzeit einen 2x-Telekonverter exakt für dieses Objektiv berechnen und herstellen lassen. Auch ein solcher befindet sich in meinem Besitz, und so komme ich auf 800mm mit Lichtstärke f=7,1. Die geringe Lichtstärke kompensiert die D810 locker über die ISO-Einstellungen. Der Konverter schluckt nicht nur zwei Blendenstufen Licht, er überträgt auch die Blendenwerte nicht an die Kamera. Aber das kann ich verschmerzen. Hier ist sowieso Handarbeit angesagt. Das Telefon, inzwischen habe ich dafür eine Halterung am Lenker, bringt mich sicher von den Gruben nach Hause und wieder zurück. Das klappt mittlerweile recht gut, ganz egal, ob ich mich von Tante Google oder von Frau Apple lotsen lasse. Da ich auf dem Telefon naturgemäß bei der Firma mit dem angebissenen Apfel immer angemeldet bin, hat sich Frau Apple nach und nach auch gemerkt, dass ich die Bundesstraße 271 hasse. Ich nehme sie nie, egal, wie oft sie mir vorgeschlagen wird. Inzwischen schlägt mir Frau Apple diese also auch nicht mehr vor. Ich vermute, dass der Algorithmus selbstständig aus meinem Verhalten gelernt hat. K.I. ist auch ein Thema, über das wir noch einmal reden müssen.

Die Bedeutung der Insekten in dem uns umgebenden Ökosystem lässt sich gar nicht hoch genug einschätzen. Bestäubter, nicht nur für Nutzpflanzen, sondern für fast alle Pflanzen. Nahrung für eine Vielzahl von Tieren. Ohne Insekten gäbe es weder die leckeren Erdbeeren auf dem Neustadter Wochenmarkt, noch die prächtigen Kirschen, die ich immer mit den Worten „Der dicke Mann mit dem Obst ist da!“ in den Keller der Villa Böhm bringe. Auch die Fledermäuse, die im Villapark abends herumflattern und bei den Vorstellungen eine stimmungsvolle Atmosphäre schaffen, wären weg. Womit sollten wir sie auch anlocken? Mit in die Luft geworfenen Leberknödeln? Amseln? Fehlanzeige! Kröten und Frösche? Vergessen Sie es. Forellen? Die leben von Insektenlarven! Die gibt es dann nicht mehr. Bienenfresser?
Ich habe Biologie studiert. Ich kann das stundenlang!

Merops apiaster
Das Objektiv mit dem Telekonverter gebärdet sich zunächst etwas zickig. Es dauert eine Weile, bis ich die für meine Zwecke passenden Einstellungen gefunden habe. Aber irgendwann klappt es ganz ordentlich. Ich gewöhne mir an, eine der Sitzwarten der Vögel anzuvisieren. Dann schaue ich mit dem rechten Auge durch den Sucher und halte den Bildausschnitt möglichst so, wie ich ihn festgelegt habe. Mit dem linken Auge schaue ich seitlich an der Kamera vorbei. So sehe ich, wenn sich ein Vogel dem Zweig nähert und kann abdrücken, bevor er sitzt. Ich will den Augenblick der Landung festhalten. Mit noch ausgebreiteten Schwingen sehen die bunten Flieger viel dynamischer aus. Das macht großen Spaß und die Ergebnisse gefallen mir gut. Manchmal erwische ich zufällig auch einen Streit zwischen den Tieren. Einer plustert sich auf und verjagt einen Artgenossen schreiend vom Ast. Das wirkt alles sehr putzig. Ich könnte stundenlang abtauchen in diese Welt.

streitlustig
Auf dem Rückweg fallen mir noch die bunt blühenden Blumen am Straßenrand auf. Die beiden Neustadt umgebenden Landkreise haben in den letzten Jahren auf den Straßenrändern natürlich in Mitteleuropa vorkommende Wildkräuter aussähen lassen. Kornblumen, Disteln und Schafgarbe erkenne ich ohne abzusteigen, weitere Blütenpflanzen bereichern das Bild. Das ist gut für die Insektenwelt, und damit gut für uns.

Als ich in den Hof meines Hauses einfahre gibt das Handynavi bekannt: „Ziel erreicht. Sie sind Zuhause“. Ach Telefon: Ich bin in der Pfalz. Ich bin doch schon den ganzen Tag zuhause!

P.S.:
Einen Ordner mit der vollständigen Bilderausbeute dieses Tages können Sie hier einsehen.

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